Buchbesprechung: „Gerichtsberichterstattung im Sportsystem. Ein Expertenbeitrag zur Analyse des Qualitätsproblems im Sportjournalismus“ von Simon Grünke.
Nach der Fußballweltmeisterschaft, vor der Bundesliga, alle vier Jahre im Juli und August berichten die Sportredaktionen der großen und kleinen Zeitungen in Deutschland über den Sport. Das sind ruhige Wochen. Das gilt auch für politische Redaktionen: Der Bundestag macht sozusagen eine Pause, während die Bundesliga-Vereine in ihren Trainingslagern fit werden. Die Zeitungsmacher stehen vor dem Problem: Wie füllen wir unsere Seiten? Die Redaktionen hoffen auf entlaufene Krokodile, die sich in den Abwasserkanälen deutscher Kleinstädte verirrt haben, oder auf ehemalige Fußballnationalspieler, die sich öffentlichkeitswirksam von ihrem Partner trennen. Kurzum: Die Sommerflaute breitet sich von den Nachrichten über das Panorama bis zum Sport aus, auch Shops wie Picksport.de bemerken dies.
In den Sportredaktionen der Zeitungen ist es alltäglich geworden, das berühmte Sommerloch mit wilden Spekulationen über Transfers in die und aus der Bundesliga zu füllen. Als Leser hat man den Eindruck, dass die Journalisten vor Stolz platzen, wenn ein deutscher Nationalspieler zu Real Madrid wechselt oder wenn ehemalige Weltstars im Winter ihrer Karriere ihr Gnadenbrot in der Bundesliga bekommen. Im Sport läutet der Start der Bundesliga im August eines jeden Jahres das Ende der Sommerpause ein. Gleichzeitig freuen sich die politischen Redakteure auf den Beginn der parlamentarischen Zeit: Sie haben wieder ein Objekt, über das Sie schreiben können, ein Objekt, das es kritisch zu hinterfragen gilt. Kritische Kommentare finden wieder ein Ziel, investigative Journalisten prüfen geheime Dokumente und finden im besten Fall eine Leiche im Keller eines „ehrenwerten“ Politikers. Mit dem Verschwinden des Sommerlochs ändern sich der Ton und die Brisanz der Presse. Nur in den Sportredaktionen ändert sich traditionell wenig. Hier ist noch alles großartig. Die Leistungen sind galaktisch oder es ist eine Verletzungspause, die Athleten sind sympathische Zeitgenossen, und die Welt der Tore und Rekorde ist überall in Ordnung.
Es war genau diese heile Welt, die den Journalisten Simon Grünke jahrelang störte – und er beschloss, seine Kollegen in der Sportredaktion genauer unter die Lupe zu nehmen. Die aufschlussreichen Ergebnisse seiner Untersuchung sind nun in seinem kürzlich erschienenen Buch „Hofberichterstattung im System Sport“ zu finden. Ein Expertenbeitrag zur Analyse des Qualitätsproblems im Sportjournalismus“.
Irgendetwas stimmt nicht
Das Gefühl hat wohl jeder, der sich für den Profisport interessiert und die Berichterstattung im Fernsehen, in den Zeitungen oder im Internet verfolgt: „Irgendetwas stimmt da nicht. Sind sie Journalisten oder sind sie Fans? Würde Rolf Töpperwien jetzt lieber eine Fehleranalyse aus dem Trainer herauskitzeln – oder mit ihm ein Bier trinken gehen?“
Grünke gelingt es in seinem Buch, dieses Bauchgefühl der Sportfans auf den Punkt zu bringen und wissenschaftlich präzise zu untersuchen. Woher kommt es, dass man das Gefühl hat, Journalisten wären gerne die besten Freunde der Sportler? Grünke beginnt sein Buch mit dem inzwischen treffenden Zitat von Hajo Friedrichs, der als Grundmaxime des Journalisten feststellte: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich mit einer Sache nicht gemein macht, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall ist, aber nie dazugehört.
Andererseits ist die berühmte Ansicht des SZ-Sportjournalisten Thomas Kistner, dass viele seiner Kollegen lediglich Fans sind, die es über die Barriere geschafft haben. Zwischen diesen beiden Extremen ordnet Grünke Phänomene und Protagonisten des Sportjournalismus ein und bringt an vielen Stellen zum Ausdruck, was Sportfans schon immer vermutet haben, aber nie so gut ausdrücken konnten. „Hofberichterstattung im System Sport“ ist ein Buch für alle, die sich abends in der Kneipe oder morgens im Büro gerne über kameradschaftliche Moderationen à la Johannes B. Kerner oder seichte Interviewversuche von „Duzmaschine“ Waldemar Hartmann aufregen. All diesen Menschen bietet das Buch eine theoretische Grundlage für ihre „Kritik aus dem Bauch heraus“.
Grünke sucht und findet in seinem Werk die Gründe für den weit verbreiteten „Jubeljournalismus“ in der Sportredaktion. Er fasst die Faktoren zusammen, die den Nährboden dafür bieten, dass Sportredakteure den journalistischen Ansprüchen so oft nicht genügen.
Der Autor untermauert seine Erkenntnisse mit sehr lesenswerten Interviews mit Vertretern und Beobachtern aus der Zunft der Sportreporter und rundet damit sein in jeder Hinsicht empfehlenswertes Buch sinnvoll ab. Neben den bekannten Fernsehreportern Marcel Reif, Oliver Welke und Frank Buschmann interviewte Grünke unter anderem den renommierten Sportphilosophen Gunter Gebauer und den ehemaligen Fußballnationalspieler Jens Todt, der nach seiner Karriere in den Journalismus wechselte. Diese Interviews dokumentieren einerseits viel von dem, was Grünke über das „System Hofberichterstattung“ erfahren hat, andererseits sind sie eine wahre Fundgrube an Zitaten, die jedem Hobbykritiker des Sportjournalismus die Munition für Gespräche mit Freunden und Kollegen liefern – vor allem über die oft belächelten Vorboten des Sports.