Der erste Eindruck: Das Foto eines älteren, lässig aussehenden Mannes in voller Polizeiuniform, Zigarette im Mundwinkel, Maschinenpistole in Bereitschaft. Richard Hebstreit wäre in der Lage, mit der Waffe umzugehen, wenn sie echt wäre. Denn neben einer stetigen Karriere als Kleindarsteller war er einst Grenzsoldat in der Nationalen Volksarmee. Designer, Karriereberater, Dozent und Internet-Pionier. Heute ist er 64 und immer noch gut vernetzt. Das Bild mit der Maschinenpistole war ein Wettbewerbsbeitrag in unserem Facebook-Titel-Fotowettbewerb! Obwohl es nicht das Titelbild der ersten Futtermittelausgabe war, führte es uns zu einer aussergewöhnlichen Lebensgeschichte.

Richard Hebstreit wurde 1946 in Melsungen bei Kassel geboren. Zwei Jahre später zog seine Familie nach Bad Salzungen in die damalige sowjetische Besatzungszone. Hebstreit verbringt die meiste Zeit seines Lebens in der DDR. Die Grenze zum Westen wird für ihn jedoch bald eine besondere Bedeutung erlangen. Im Sommer 1962 will er mit seinem Freund Eberhard Urlaub an der Ostsee machen. Die beiden können nur bis nach Löwenberg gelangen. Dort regnet es tagelang, so dass sie per Anhalter zurück nach Berlin fahren. Es ist Nacht, sie fahren eine Weile nicht mehr weiter, umsonst. Der Plan, im Warteraum des Ostbahnhofs zu schlafen, erweist sich als ernsthaft. Sie verirren sich im Grenzgebiet und laufen einer Patrouille des Grenzregiments 35 in die Arme. „Dringender Verdacht auf Flucht aus der Republik“. In der Campingtasche von Hebstreit: eine Alarmpistole aus tschechischer Produktion. Als die Waffe, eingebettet in ein Marmeladenglas, von den Grenzsoldaten am Ostbahnhof entdeckt wird, sieht es ernst aus. Wegen eines versuchten, beabsichtigten und bewaffneten Grenzdurchbruchs landet Hebstreit in einem Jugend-Durchgangslager und vor der Staatsanwaltschaft. Ein paar glückliche Umstände sowie die Tatsache, dass die jungen Männer keine Munition für das Gewehr hatten, lassen das Ganze reibungslos enden. Das Verfahren wird ausgesetzt, Hebstreit und sein Kumpel können ihre Heimreise mit der Bemerkung antreten, dass sie nun ein dauerhaftes Verbot aus der Hauptstadt haben.

Das erste PC-Netzwerk in der DDR

Er kann gut mit Computern umgehen, und die Arbeit, für die seine Kollegen einen ganzen Tag mit Kurbelrechnern und Papiertischen benötigen, kann in einer halben Stunde erledigt werden. Plötzlich sind die Grenzen offen. Die DDR wird liquidiert. Nun soll ihre gesamte Verwaltung an westdeutsche Standards angepasst werden. Dabei stellt sich Hebstreit einer neuen Herausforderung: 1990 wird er Leiter der Hauptverwaltung der Stadtverwaltung Bad Salzungen. Besonders überzeugend: Seine Behauptung, dass „die Fortbildung der Verwaltungsangestellten gleichzeitig organisiert werden sollte“, und das „in einer Verwaltung, in der es zwei elektrische Schreibmaschinen gab und in der man nur über EDV in der Zeitung gelesen hatte“. Es folgt eine Phase, in der Hebstreit mit seiner Stadtverwaltung technisch an der Spitze stehen will. Er traut dem normalen Entwicklungsstand in Westdeutschland nicht. Sicherlich muss es etwas anderes geben als die damals üblichen Großrechnersysteme der kommunalen Gebietsrechenzentren. Er erkundigt sich an der Universität Kassel. Dort sagt man ihm: „Organisieren Sie ein PC-Netzwerk unter Novel, verbinden Sie es mit Glasfaserkabeln!“ Sie schicken ihn nach Nordhorn, sie „haben so etwas“. Ein paar Wochen später stellt er den Abgeordneten seinen Projektplan vor. Sie nicken ein, sie kennen den Unterschied zwischen einem Mainframe und einem PC nicht.

Hebstreit hat damit nicht weniger als das erste kommunale PC-Netzwerk in den neuen Bundesländern geschaffen. Und hat einen Krieg gegen sich selbst ausgelöst. Äußerlich geben die Menschen vor, enthusiastisch zu sein: „Man kann sich der neuen Zeit nicht verschließen“, sagen sie. Nach innen sind alle dagegen. „Die EDV war um des Teufels willen. Dann musste ich ihnen sagen: „Wenn die EDV funktioniert, muss die Hälfte von euch nach Hause gehen. Wenn ich diese Kollegen in der Stadt treffen würde, würden sie auf die andere Straßenseite gehen. Sie mieden mich wie die Pest“. Schließlich entlassen sie ihn. Heb- argumentieren Sie ruhig. „Den Lernprozess genießen, die neuesten Entwicklungen aufgreifen“, das war ihm wichtiger. Auch in seinem Privatleben spielt die Vernetzung eine immer wichtigere Rolle. Freunde experimentieren mit den ersten Modems. 1991, zu einer Zeit, als das Wort „Internet“ in Deutschland fast völlig unbekannt ist, stellt Hebstreit seine erste eigene Netzverbindung her, zwischen Breitungen und Bad Salzungen. Die empfangenen Daten sind Witze und Aktfotos.

Von Reporter1